
Bauernopfer
Der ein oder andere hat ja bereits den Untergang Deutschlands und den Zusammenbruch der zivilen Gesellschaftsordnung vorhergesagt (oder herbei gesehnt), aber soweit ist es dann doch nicht gekommen. Wir alle haben die eine Woche Bauernproteste mehr oder weniger gut überstanden. Kein Volksaufstand und auch kein Generalstreik, wie noch zu Begin vom braunen Rand erhofft und propagiert.
Eine kleine Anekdote möchte ich voran schicken. Meine Oma, Jahrgang 1936, hat die Nachkriegsjahre in einem kleinen Dorf bei Chemnitz verbracht. Sie und ihre Mutter waren als Chemnitzer Ausgebombte bei einer ortsansässigen Bauernfamilie untergekommen. Das ganze Dorf, inklusive meiner Oma und Ur-Oma, hungerte zu dieser Zeit wie überall in Deutschland kurz nach dem Ende des 2. Weltkriegs. Die Einzigen, die immer genug zu essen hatten, waren, nach Aussage meiner Oma (die ich im Übrigen für eine sehr vertrauensvolle Person halte), die Bauern.
Später pflegte meine Oma immer über die Bauern zu sagen: „Die Ernte war nicht gut weil: Der Sommer zu heiß oder zu kalt; das Frühjahr zu trocken oder zu nass, der Herbst zu früh oder zu spät und der Winter ist eh des Bauerns Tod. Die Bauern ham‘ immer was zu scheißen und denen geht es grundsätzlich ganz beschissen. Aber zu fressen ham’se immer mehr als alle andren.“ Natürlich kann man die Situation der Bauern in den Hungerjahren Ender der 1940er nicht mit der modernen Landwirtschaft des 21. Jahrhunderts vergleichen, aber ein Fünkchen Wahrheit steckt zumeist in Vielem.
Sicherlich wurde in den letzten Jahren und Jahrzehnten sehr viel falsch gemacht in der Landwirtschaftspolitik. Allerdings zweifle ich ein wenig an der Vernunft und dem Verstand der Mehrheit der Landwirte, wenn sie nicht in der Lage sind, ihre durchaus berechtigte Kritik richtig zu adressieren.
Fangen wir mal mit den aktuellen Kürzungen der deutschen Subventionen an. Die hat weder Wirtschaftsminister Habeck noch Landwirtschaftsminister Özdemir zu verantworten, sondern einzig und allein Finanzminister Christian „Freiheit!“ Lindner. Alle Zuschüsse für die Landwirtschaft wären locker aus dem Etat zu finanzieren, wenn die FDP bei den Themen Steuervermeidung, gerechte Besteuerung von Kapitalerträgen und Streichung klimaschädlicher Subventionen ihren Verstand nicht sofort auf Durchzug stellen würde.
Den wesentlich höheren Anteil an der Gesamtförderung machen aber die Agrarsubventionen der EU aus. Und auf die hat noch nicht einmal ein deutscher Finanzminister der FDP direkten Einfluss. Allerdings sorgen hier die Lobbyisten der Lebensmittel- und Großagrarindustrie dafür, dass diese Subventionen auf die Fläche berechnet wird. Sprich: Mehr Fläche (gleich größerer landwirtschaftlicher Betrieb) bringt mehr Subventionen. Da aber bei mehr Fläche der benötigte Aufwand (sprich Arbeit) nicht proportional mit ansteigt, haben sehr große Agrarbetriebe „netto“ viel mehr von diesen Subventionen als der kleine Familienbauernhof.
Hinzu kommt, dass die Art der Landwirtschaft (Bio oder konventionell) nur einen sehr geringen Einfluss auf die Höhe der EU-Subventionen hat. Dass bedeutet: Der konventionelle Groß-Agrarbetrieb hat pro Hektar die höchste, der kleine Familien-Biobauernhof die geringsten „Netto“-Subvention.
Stellt sich natürlich die Frage: Warum protestieren die Bauern so vehement gegen vergleichsweise geringe Kürzungen der deutschen Agrarsubventionen anstatt gegen die ungerechte Verteilung der enormen EU-Landwirtschaftssubventionen? Sehen wir uns doch hierzu Joachim Rukwied an, seit 12 Jahren Präsident des Deutschen Bauernverbandes und somit Cheflobbyist aller deutschen Bauern. „Rukwied ist seit 2007 Mitglied im Aufsichtsrat der Südzucker AG. Er ist Mitglied in den Aufsichtsräten der BayWa und der Messe Berlin. Beim Softwareunternehmen Land-Data GmbH ist er Vorsitzender des Aufsichtsrats. Er ist Vorsitzender des Verwaltungsrats der Landwirtschaftlichen Rentenbank und Mitglied im Verwaltungsrat der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) (Stand Januar 2024).“
Deutschlands oberster Bauer ist gar kein Bauer (mehr) sondern Vertreter der Nahrungsmittel- und Agrar-Chemieindustrie. Und bei seinem Vorgänger Gerd Sonnleitner (u.a. Präsidiumsmitglied des Deutschen Raiffeisenverbands, Aufsichtsratsvorsitzender des Deutschen Landwirtschaftsverlags, Beiratsmitglied der Baywa AG, Mitglied des Aufsichtsrats des Landmaschinenherstellers AGCO Corporation) sieht es ähnlich aus. Von daher ist es auch nicht verwunderlich, dass sich am Verteilungsschlüssel der EU-Subventionen seit Jahren und Jahrzehnten nichts geändert hat. Und beide haben während ihrer Amtszeit den Negativpreis „Dinosaurier des Jahres“ des NABU als Deutschlands größter Umweltsünder erhalten.
Das erklärt auch, wieso der Deutsche Bauernverband auch nicht bei denen protestiert, die dafür verantwortlich sind, dass Bauern überhaupt auf so hohe Subventionen angewiesen sind: Die Lebensmittelhersteller und die Lebensmittel-Einzelhandelsketten. Aber es ist ja viel einfacher populistisch auf „die Regierung“ einzuprügeln, vor allem in der heutigen Zeit. Vielleicht macht sich ja irgendwann einmal ein Bauer oder eine Bäuerin die Mühe darüber nachzudenken, von wem sie eigentlich vertreten werden wollen. Wünschen tät ich’s mir, allein mir fehlt der Glaube.